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UZH Journal

Auf Privilegien verzichten

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Die Soziologin Katja Rost über Sharing Economy, nachhaltiges Handeln, Statusdenken und die Kultur des Teilens an der UZH. Das gemeinsame Nutzen und Teilen ist hoch im Kurs, aber auch mit dem Verzicht auf Privilegien verbunden. 

Interview: Roger Nickl

Plattformen wie shareley.ch, Tauschbörsen und Bücherschränke: Die Kultur des Teilens und Tauschens liegt im Trend. Weshalb?

Katja Rost: Die Kultur des Teilens ist bereits alt. Wir teilen, denkt man etwa an die Nachbarschaftshilfe, schon lange. Wenn ich keine Eier mehr habe, frage ich halt beim Nachbarn oder bei der Nachbarin nach. Allerdings machen wir das heute weniger als früher. 

Tatsächlich, welches sind die Ursachen?

Wir sind mobiler und individualistischer geworden. Wir verbringen heute nicht mehr so viel Zeit zu Hause. Entsprechend haben Nachbarschaftsnetzwerke abgenommen. Wie Sozialkapitalstudien belegen, ist dies ein Trend, der in den 1970er-Jahren eingesetzt hat. 

Steht diese Entwicklung nicht in Widerspruch zum vermeintlichen Aufblühen einer neuen Kultur des Teilens und Tauschens?

Das ist kein Widerspruch. Es besteht offensichtlich ein Bedarf, der nicht gedeckt ist. Man kann eben beispielsweise nicht mehr zum Heuschober der Eltern gehen und sich eine Sense ausleihen, die man gerade für seinen Garten in der Stadt braucht. Wir sind auf andere, digitale Netzwerke angewiesen. Basis für die Sharing Economy sind die technologischen Entwicklungen, die dies möglich machen. 

Heute können wir online alles Mögliche ­tauschen und teilen. Sind solche digitalen Plattformen vor allem ein interessantes ­Geschäftsmodell oder geht es dabei auch um nachhaltigeres, ethischeres Konsumieren 
und Wirtschaften?

Das ist ein viel diskutiertes Thema in der Sharing Economy. Viele dieser Angebote sind wahrscheinlich ursprünglich aus einem Nachhaltigkeitsgedanken heraus entstanden. Mit der Zeit beginnt aber das Geld die Moral zu verdrängen, wie etwa die Beispiele von Uber oder Airbnb zeigen. Auch für die Nutzerinnen und Nutzer steht oft die Nachhaltigkeit im Vordergrund. Man muss sich nicht immer Sachen neu kaufen, sondern kann gebrauchte Dinge von anderen weiter-verwerten und damit Ressourcen schonen. Diese Rechnung geht allerdings nur teilweise auf. Nehmen wir das Beispiel Kleidung: Tauschbörsen haben nicht etwa dazu geführt, dass die Menschen weniger konsumieren. Oft leisten sie sich jetzt einfach statt bloss drei gleich zehn Paar Hosen, weil sie eben günstiger sind. Wir tun uns schwer mit Begrenzungen. 

Unser Konsumverhalten verändert sich also nicht – auch wenn wir nach dem Motto der Sharing Economy «teilen und tauschen statt besitzen und kaufen» leben?

Es verändert sich in bestimmten Bereichen. Das Auto hat in Städten an Bedeutung verloren, gerade bei jungen Leuten. Der Besitz eines eigenen Fahrzeugs ist da viel weniger wichtig geworden und man teilt mehr. Viele besitzen keinen Führerschein mehr, das fällt gerade in der Schweiz auf. Ob das ein allgemeiner Trend ist, scheint allerdings fraglich. 
Lebt man auf dem Land, braucht man oft immer noch ein eigenes Fahrzeug. Der generellen Behauptung, Besitz sei heute nicht mehr so wichtig, würde ich jedenfalls entschieden widersprechen. Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser sind immer noch sehr begehrt. Viele wollen etwas Wertvolles besitzen – und davon gibt man auch nichts ab. Da sind wir weit weg von einer Kultur des Teilens. 

Was teilen wir gerne, was gar nicht? 

Gerne teilen wir alles, was unpersönlich ist. Unterhosen zum Beispiel wird man in Kleiderbörsen wohl kaum finden. Deutschschweizer und Deutsche tun sich übrigens extrem schwer, ihr Auto mit anderen zu teilen, während Italiener und Franzosen damit kein Problem haben.  

Gibt es Erklärungen für diese frappanten ­Differenzen? 

Das sind kulturelle Unterschiede. Den Deutschen ist der Besitz – mein Haus, mein Auto, mein Boot – sehr wichtig. Andere Kulturen betonen dagegen Geselligkeit, Gemeinschaft und Familie. Das ist kulturell über Jahrhunderte entstanden. 

An der UZH gibt es verschiedene Plattformen, auf denen etwa Forschungsinfrastruktur, ­Geräte oder Büromaterial geteilt und ­getauscht werden. Es gibt Bücherschränke und Events wie den jährlichen Bring-und-hol-Tag, in deren Rahmen gebrauchte Gegenstände aus Haushalt und Büro getauscht werden können. Wie nehmen Sie die Kultur des Teilens an der UZH wahr? 

Eine Universität wie die UZH lebt vor allem vom Teilen von Wissen. In diesen Kontext gehören auch die Bibliotheken: Sie sind vorbildlich für eine Kultur des Teilens, die es schon lange gibt. Eine schöne neue Entwicklung sind die administrativen Pool-Lösungen, die wir an der UZH immer häufiger haben. Die klassischen Lehrstuhlsekretariate haben ausgedient, denn viele Sekretariatsarbeiten – etwa das Schreiben von Briefen – erledigen die Professorinnen und Professoren heute meist selbst. Deshalb lassen sich Sekretariate eigentlich gut zusammenlegen. Im Prinzip wenigstens, denn oft laufen Prozesse in diese Richtung an den Instituten nur sehr harzig. Gründe dafür sind das Besitz- und Statusdenken – gerade für langgediente Professorinnen und Professoren ist es schwierig, sich von Privilegien zu verabschieden. Dies zeigt, wie schwierig das Teilen zuweilen sein kann. 

 

Wie könnte man die Kultur des Teilens an der UZH weiter verbessern

Ich finde es super, dass die UZH sich so stark für Nachhaltigkeit einsetzt – etwa indem eine starke Reduktion von Flugreisen angestrebt wird. In diesem Zusammenhang wird es künftig um das Teilen von Flugmeilen gehen. Da wird es auch Verteilkämpfe geben. Es wird sich zeigen, wie gut wir darin sind, prosozial zu handeln – zum Beispiel indem Professorinnen und Professoren zugunsten von Doktorierenden auf eine internationale Konferenz in Übersee verzichten, weil es für die Karriere des akademischen Nachwuchses wichtiger ist, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Beim Teilen von Infrastruktur und von Arbeitsplätzen gibt es sicher auch noch viel Potenzial. Hier besteht aber gleichzeitig auch ein grosser Diskussionsbedarf, weil es eben darum geht, auf Privilegien zu verzichten. 

Tauschen und Teilen

Von der Technologieplattform bis zum Roman: An der UZH gibt es diverse Angebote, um Forschungseinrichtungen, Geräte, Haushaltsgegenstände und Bücher zu tauschen und zu teilen. Hier einige Beispiele: 

Technologieplattformen: Die Technologieplattformen der UZH ermöglichen den Forschenden den Zugang zu hochwertigen und komplexen Technologien. Teilweise stehen sie auch Forschenden anderer Hochschulen und Industriekunden zur Verfügung. Für alle Nutzerin­nen und ­Nutzer besteht eine Gebührenpflicht. 
www.research.uzh.ch/de/platforms.html 
Kontakt: thomas.trueb@uzh.ch

Shared Equipment: Shared Equipment ­vermittelt Forschungsgeräte und Räume, die gemeinsam genutzt werden können. 
www.staff.uzh.ch/de/arbeitsplatz/labor-buero/shared-equipment.html
Kontakt: johanna.vogt@uzh.ch

Gerätebörse: Die UZH betreibt eine ­Gerätebörse mit dem Ziel, nicht mehr ­genutzte Geräte und Laborapparate ­wieder in Betrieb zu nehmen. 
www.staff.uzh.ch/de/arbeitsplatz/labor-buero/laborgeraete/geraeteboerse.html 
Kontakt: rene.tiefenauer@mul.uzh.ch

Equipment@Vetsuisse: Ein Teams-Kanal ermöglicht es Angehörigen der Vetsuisse-­Fakultät, Laborgeräte der gemeinsamen Nutzung zugänglich zu machen, Labor­material anzubieten oder zu suchen und Wissen zu teilen.
Kontakt: hanna.marti@uzh.ch

Büromaterialbörse: Weshalb neu kaufen, was in anderen Abteilungen ungenutzt herumsteht? Die Büromaterialbörse 
ist eine gute Gelegenheit für alle Büro­materialverantwortlichen, ihr Lager zu durch­forsten und nicht mehr benötigte Artikel in die Börse zu stellen. Vor man Büro­material bestellt, kann man hier nach­sehen, was derzeit angeboten wird. Die Angebote sind gratis. 
www.vatp.uzh.ch/de/about/angebote/bueromaterialboerse.html 
Kontakt: corinne.maurer@ad.uzh.ch

Bücherkabine im Hauptgebäude UZH-­Zentrum: Die Gelegenheit zum Büchertausch für alle Leseratten.
www.vatp.uzh.ch/de/about/angebote.html
Kontakt: Maryam.Solimanmaryam.soliman@rwi.uzh.ch

Bring-und-hol-Tag und Bücherbörse: Literatur und Gegenstände aus Haushalt und Büro, die noch gut im Schuss sind, bringen oder mitnehmen (September/Oktober).
 

Weiterführende Informationen

Katja Rost

Im Bild

Katja Rost ist Professorin für Soziologie und Präsidentin der Gleichstellungskommission an der UZH.

Bild: Frank Brüderli