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UZH Journal

Faible für alles Stachelige

Robert Zingg

Persönlichkeiten blicken auf ihre Studienzeit an der UZH zurück. In dieser Ausgabe Robert Zingg, der als Kurator im Zoo Zürich arbeitet.

Von Alice Werner

Von Robert Zingg existiert eine gekritzelte Zeichnung aus der Primarschulzeit, eine Art visionäres Selbstporträt. Sie zeigt einen bärtigen Mann in Jeans mit Feldstecher und Bestimmungstabelle, darunter steht in fehlerhafter Orthografie: Zoologe. «Schon als kleines Kind war mir sonnenklar, dass ich nichts anderes werden kann.» Der bärtige Mann in Jeans, der einem beim Interview im backsteinernen Betriebsgebäude neben dem Zoogelände gegenübersitzt, strahlt die Souveränität und Gelassenheit eines Menschen aus, der seinen Platz in der Welt schon früh gefunden hat. Und auch wenn er Feldstecher und Bestimmungstabelle vor langer Zeit gegen PC und Handy eingetauscht hat – die Faszination fürs Tier, für die vielen Formen des Lebens, die Habitate und Ökosysteme dauert bis heute an.

Tierliebe, das hat die Forschung mittlerweile gezeigt, ist genetisch bedingt, beruht aber auch auf entsprechenden positiven Erfahrungen in jungen Kinderjahren. Wie war das also bei Zingg daheim? Gab es da einen Familien-Retriever zum Knuddeln? Ein aus dem Tierheim adoptiertes Kätzchen? Robert Zingg lacht auf: «Wir hatten eher unübliche Kuscheltiere.»

Terrarien im Kinderzimmer

Er sei, so erzählt er jetzt, direkt neben dem Basler Zoo mit Blick auf die Nashornanlage aufgewachsen. Die grauen Rhinos sind morgens das Erste und abends das Letzte, was er als Kind sieht. Und weil die Babysitterin der vier Zingg-Brüder Zoologie studiert, bringt sie den Jungen schon mal eine Schachtel Stabheuschrecken oder einen Axolotl mit. Beim jungen Robert nimmt die kindliche Tierliebe bald wissenschaftliche Züge an. Von klein auf zieht es ihn in die Natur; das Lebendige fasziniert ihn – und wenn es nur eine Schnecke ist. Was ihm bei seinen Streifzügen über den Weg läuft, landet zuverlässig im Kinderzimmer: «Ich hatte da ein paar Terrarien mit Fröschen, Kröten, Molchen und Feuersalamandern.» Über die Jahre kommen auf diese Weise «sehr viele» Amphibien zusammen, die Zingg ausdauernd beobachtet und bald sogar züchtet – nicht unbedingt zur Freude seiner Mutter. Die scheint ihre Energie allerdings anderweitig zu brauchen, denn sie lässt den kleinen Amateurforscher gewähren und stellt nur eine Bedingung: «Keine Schlangen!»

Die Schule ist für Robert Zingg ausschliesslich Mittel zum Zweck, um Zoologie studieren zu können. Mit acht lernt er einen Tierpräparator kennen, dem er bei seiner Arbeit bald zur Hand geht und dabei detaillierte Anatomiekenntnisse erwirbt. «Der eine oder andere selbst präparierte Tierschädel lagert immer noch verstaubt in einer Schublade.»

Endlich an die Universität

1974 kann sich Zingg endlich für Zoologie an der UZH immatrikulieren. An seine erste Vorlesung erinnert er sich genau: «Da hat der Professor zwei Stunden lang versucht, uns den brotlosen Job eines Zoologen auszureden. Bei mir hat das natürlich nicht gefruchtet.» Im Gegenteil: Der Student Zingg hängt sich richtig ins Zeug, lernt auch in den «Hilfswissenschaften» Chemie, Physik und Mathematik fleissig und gründet mit drei Kommilitonen eine Lerngruppe, in der sie in regelmässigen Wissenswettkämpfen gegeneinander antreten. Weil ihn die Perspektiven einer ganzheitlichen Biologie interessieren, absolviert er das Maximum an möglichen Praktika. Ob innere Medizin, Sezieren und Autopsieren oder Verhaltensbeobachtungen im Feld: «Ich wollte alles kennenlernen und mich auf keinen Fall auf ein Gebiet spezialisieren.» Für die Diplomarbeit sucht er sich ein morphologisches Thema aus und untersucht die Hörner von Steinböcken auf Ähnlichkeitsbeziehungen.

Nach einem kurzen Abstecher als Praktikant beim Zürcher Amt für Landschaft und Natur kehrt Robert Zingg als Assistent an die UZH zurück. Am Lehrstuhl von Primatenforscher Hans Kummer, der am damaligen Institut für Zoologie das Gebiet der Ethologie und Wildbiologie etablierte, baut er verschiedene Tiergruppen für wissenschaftliche Experimente und Verhaltensstudien auf. Eine Kolonie von 26 Turmdohlen zieht er von Hand auf. Wie man Zebramangusten unter künstlichen Bedingungen artgerecht halten kann – diese Frage treibt Zingg damals besonders um. Er versucht sich in die jeweiligen Tiere hineinzuversetzen, um ihre Bedürfnisse zu erspüren.

Seine Dissertation schreibt Robert Zingg über das Bewegungsverhalten und das Raumsystem von Igeln in Siedlungsgebieten. «Für dieses Projekt wurde ich nachtaktiv», erzählt er schmunzelnd. Über einen Zeitraum von vier Jahren läuft er Nacht für Nacht seinen mit Sendern versehenen Igeln hinterher und dokumentiert ihre Wegstrecken. Igel Nummer 35 ist ihm bis heute im Gedächtnis geblieben: «Ein milchkaffeefarbenes Männchen, das in manchen Nächten 6 Kilometer zurücklegte.»

1994 beginnt Zingg seine Tätigkeit im Zoo Zürich. Als Kurator entscheidet er im Rahmen von Tierbestandsplanungen und unter Berücksichtigung des europäischen Erhaltungszuchtprogramms über Tieranschaffungen und macht Vorgaben zur Haltung. Als Fachverantwortlicher betreut er wissenschaftliche Aufgaben, unterstützt die Konzeption und Umsetzung von Arten- und Naturschutzstrategien und engagiert sich für besucherfreundliche und erlebnisorientierte Tierpräsentationen. «Kinder und Jugendliche für die Welt der Tiere zu begeistern und das Bewusstsein für Artenschutz zu fördern, zählt zu unseren wichtigsten Aufgaben», betont Zingg. In den letzten Jahren hat er sich denn auch weitgehend auf die Öffentlichkeitsarbeit fokussiert. «Mein Job ist, die Tiere reden zu lassen.»

In den vergangenen 20 Jahren hat sich in den europäischen Zoos ein grundlegender Wandel vollzogen: weg von der Käfighaltung, hin zu einer tiergerechten Simulation der natürlichen Umgebung. An der Um- und Neugestaltung der Gehege im Zoo Zürich war Zingg als Berater massgeblich beteiligt, etwa am 2014 eröffneten Kaeng-Krachan-Elefantenpark. Sein letztes grosses Projekt: die afrikanische Lewa- Savanne für Nashörner, Giraffen, Impalas, Antilopen, Strausse und Zebras.

Ein Lieblingstier hat Robert Zingg, der bald in den Ruhestand gehen wird, übrigens nicht. Höchstens ein Faible für alles Stachelige. Zurzeit kümmert er sich zu Hause um zwei Skorpione, 13 Bienenvölker und mehrere Hundert Kakteen. «Meine Frau befürchtet aber, dass ich die Tierhaltung wieder hochfahre, wenn ich nicht mehr täglich in den Zoo gehe.» Zinggs verschmitztem Lächeln nach zu urteilen, könnte sie mit ihrer Ahnung recht haben.

Weiterführende Informationen

Im Bild

Ob Steinböcke, Dohlen oder Skorpione, einheimische oder exotische, grosse oder unscheinbare Tiere: Für Robert Zingg ist jedes Lebewesen ein Faszinosum.
Bild: Frank Brüderli