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UZH Journal

«Menschen und Bücher zusammenführen»

Die UZH hat will ihre Bibliotheken modernisieren. Das Vorprojekt «UZH Bibliothek der Zukunft» ist derzeit in der Vernehmlassung. Prorektor Christian Schwarzenegger, der Gräzist Christoph Riedweg, der Mathematiker Joachim Rosenthal und der Student Lukas Buser diskutieren über das Vorhaben.

Gesprächsführung: David Werner, Stefan Stöcklin

Sie alle nutzen das Bibliotheksangebot der UZH. Was muss für Sie als Nutzer eine gute Universitätsbibliothek leisten?

Lukas Buser: Ich benutze die Bibliothek vor allem als Lern- und Arbeitsplatz sowie als Begegnungsort zum Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen. Was die Medien betrifft, so sind praktisch alle Dokumente digital verfügbar. Ich arbeite meist mit PDF-Dokumenten, die ich runterlade; analoge Medien wie Bücher brauche ich kaum.

Joachim Rosenthal: Als Nutzer ist für mich der Zugang zur Forschungsliteratur und zu den Journals wichtig. Er erfolgt immer mehr digital. Diesbezüglich bin ich an der Hauptbibliothek (HBZ) gut versorgt. Wichtiger werden die Vorgaben des SNF und des European Research Council hinsichtlich Open Access und öffentlich zugänglicher Repositorien. Hier kommen komplexe Fragen auf die UZH zu.

Christoph Riedweg: Für mich als Altphilologe wie allgemein für Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ist die Fachbibliothek Lebens- und Forschungselixier – sie ist unser Laboratorium. Die Bestände sind direkt im Seminar einfach zugänglich und greifbar, ich kann jederzeit unkompliziert etwas nachschlagen. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung für mich als Buch- und Textwissenschaftler. Auch digitale Instrumente gehören bei uns längst zum Alltag, doch bleibt das physische Buch ein zentrales Arbeitsinstrument, zumal noch längst nicht alle Bücher digitalisiert sind und das Buch eine wichtige Funktion, komplementär zu den neuen Medien, behauptet.

Herr Schwarzenegger, Sie verantworten als Prorektor das Bibliotheksprojekt der UZH, sind als Rechtswissenschaftler auch ein Nutzer. Wie beurteilen Sie das Angebot in ihrer Disziplin?

Christian Schwarzenegger: Die Grundlagenliteratur ist weitgehend digital verfügbar, allerdings halten wir in grossen Teilen noch am traditionellen Publikationsmodell via Verlage fest. Aus meiner Sicht könnte die Umstellung von analogen auf digitale Medien in der Rechtswissenschaft schneller vorangehen, etwa bei der Erschliessung aller kantonalen Gerichtsentscheide. Ich wünschte mir auch mehr Unterstützung beim Publizieren auf Open-Access-Plattformen. An der HBZ gibt es zwar eine Anlaufstelle, sie ist aber noch im Aufbau und kann noch nicht alle Fächer bedienen.

Inwiefern bieten die UZH-Bibliotheken das, was Sie sich wünschen, und wo gäbe es Handlungsbedarf?

Riedweg: Für meinen Fachbereich haben wir zurzeit eine nahezu ideale Bibliothekswelt. Dank bisher ausreichender Mittel verfügen wir über eine hervorragend ausgestattete Seminarbibliothek mit exzellenten Arbeitsbedingungen, und die Zusammenarbeit mit der Zentralbibliothek (ZB), die die seminarübergreifend wichtigen digitalen Ressourcen zur Verfügung stellt, ist sehr effizient.

Rosenthal: Aufgrund meiner langjährigen Erfahrungen in den USA bin ich erstaunt, dass wir keine zentrale Bibliotheksorganisation haben. Die HBZ auf dem Campus Irchel ist de facto eine Bereichsbibliothek für Naturwissenschaften und Medizin und nimmt diese Aufgabe gut wahr. Aber sie kann die UZH insgesamt nur beschränkt vertreten. Ich denke, es braucht eine zentrale Organisation (UBZH) mit Know-how in allen Spezialfragen. Die Fragen bei der Informationsbeschaffung in einer modernen Uni sind komplex geworden, und eine zentrale Einheit wie die UBZH ist die beste Vorbedingung, um eine gemeinsame Strategie zu formulieren und umzusetzen.

Schwarzenegger: Der Prozess der Erweiterung der Bibliotheksaufgaben ist weltweit in Gang, überall bieten Bibliotheken neue Services im Bereich digitaler Recherche und Publikation an, damit die Forschenden in der Lage bleiben, Topforschung zu betreiben.

Buser: Als klaren Pluspunkt der aktuellen Situation betrachte ich die Nähe der Institute zu den Bibliotheken. Positiv ist auch, dass die Bibliotheken von Leuten geleitet werden, die sich in den Fachgebieten auskennen. Negativ schlagen der gravierende Mangel an studentischen Arbeitsplätzen zu Buche und die administrativen Zusatzkosten der dezentralen Organisationsstruktur – das Geld könnte man sinnvoller ausgeben.

Wie sagen Sie zu den Kosten, Herr Schwarzenegger?

Schwarzenegger: Ich kann nur beipflichten. Das Zürcher Bibliothekssystem unter Einschluss der ZB, die auch Universitätsbibliothek ist, kostet fast doppelt so viel wie andere, vergleichbare Bibliotheksstandorte.

Riedweg: Laut Vorprojekt beträgt die Differenz zu Basel gerade mal 5,7 Prozent. Zieht man ausserdem die weiteren Aufgaben in Betracht, die die ZB in ihrer Funktion als Kantons- und Stadtbibliothek wahrnimmt, liegt Zürich kostenmässig wahrscheinlich irgendwo im schweizerischen Durchschnitt. Dass viele Institutsbibliotheken in Villen untergebracht sind, ist das Ergebnis der früheren kantonalen Politik – das hat nichts mit bibliotheksspezifischen Entscheidungen zu tun.

Schwarzenegger: Mit dem neuen kantonalen Richtplan bietet sich ein Zeitfenster, um die räumliche Situation der UZH zu verbessern und vernünftiger zu gestalten – und verwandte Disziplinen räumlich wieder näher zusammenzuführen.

Rosenthal: Wenn es uns zugleich gelingt, unsere Bibliotheken einheitlicher zu organisieren, können wir mit den 36 Millionen Franken, die unsere Bibliotheken jährlich kosten, ein wesentlich besseres Angebot erreichen und auch mehr Arbeitsplätzen im Forum UZH für die Studierenden finanzieren.

Schwarzenegger: Eine Weiterentwicklung unserer Bibliotheken ist dringend nötig. Zurzeit ist die UZH in diesem Bereich keineswegs als Pionierin unterwegs.

Dennoch gibt es Ängste, etwa bei den Studierenden. Wie schätzen Sie die Stimmung ein, Herr Buser?

Buser: Die Meinungen unter den Studierenden sind extrem uneinheitlich. Wir führen deshalb die Vernehmlassung im VSUZH in einem mehrstufigen Verfahren durch und beziehen auch die Fachvereine ein. Wir organisieren auch öffentliche Veranstaltungen. Das Thema mobilisiert Studierende der Geisteswissenschaften und der Theologie viel stärker als Studierende der Naturwissenschaften oder der Medizin.

Riedweg: Kein Wunder, die Mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät ist ja vom Projekt auch kaum betroffen.

Rosenthal: Weil wir eben die Reform grösstenteils schon hinter uns haben.

Buser: In den Geisteswissenschaften befürchtet man, dass zu wenig auf die spezifischen Recherchemethoden Rücksicht genommen wird. Man hat Angst, dass grosse Teile der Bestände magaziniert werden und stöbern nicht mehr möglich ist.

Wie wichtig ist es für Sie persönlich, in Regalen zu stöbern?

Buser: Für mich persönlich ist es nicht von Bedeutung, aber für viele meiner Mitstudierenden in den Geisteswissenschaften ist es extrem wichtig.

Rosenthal: Auch ich als Mathematiker stöbere sehr gerne. Seit unsere Bücher mit anderen Institutsbibliotheken zusammengelegt wurden, ist das Stöbern interessanter geworden als früher, weil ich auch auf interessante Literatur zu verwandten Disziplinen wie der Physik stosse.

Schwarzenegger: Stöbern kann man heute auch virtuell ermöglichen mithilfe eines «virtual library bookshelf».

Riedweg: Solange nicht alles digitalisiert ist und diese Systeme nicht vorliegen, ist virtuelles Stöbern für die «Humanities» keine Alternative. Was mich am Projekt «UZH Bibliothek der Zukunft» stört, ist die Überlagerung bibliotheksspezifischer Fragen durch das Immobilienmanagement. Das Forum UZH wäre doch eigentlich ein Wachstumsprojekt – aber es wird jetzt zur Verknappung der für die Geisteswissenschaften reservierten Flächen gebraucht. Es gibt die Befürchtung, dass die Fachbibliotheken durch Magazinierung grosser Teile der Buchbestände amputiert werden.

Schwarzenegger: Die Bücher werden auch in Zukunft überwiegend in den Bibliotheken verfügbar sein. Es ist eine Fehlinformation, dass wir sie in ein Magazin stecken und nur auf Bestellung zur Verfügung stellen.

Wie stellen Sie sich die Zukunft der Bibliotheken vor?

Schwarzenegger: Wir wollen Menschen und Bücher zusammenführen. Wir wollen, dass die Geisteswissenschaften und alle anderen Disziplinen florieren und optimale Bedingungen haben – nicht bloss nach heutigen, sondern auch nach zukünftigen Massstäben. Die Bibliotheken sollen nicht nur Bücher-reservoire, sondern attraktive Arbeits- und Aufenthaltsorte mit einem smarten digitalen Dienstleistungsangebot werden. Die Zahl der Studienarbeitsplätze wollen wir mehr als verdoppeln.

Ist die räumliche und organisatorische Zentralisierung der Bibliotheken aus Sicht der Geisteswissenschaften grundsätzlich ein Problem, Herr Riedweg?

Riedweg: Die längerfristig auf dem Schanzenberg geplante Zusammenführung der Institute und Bibliotheken im Zentrum sehe ich als grosse Chance und gute Perspektive, und ein vernünftiges Mass an organisatorischer Koordination finde ich nötig und begrüssenswert. Ärgerlich ist, dass im Vor-projekt vieles über die Köpfe der direkt Betroffenen hinweg bestimmt wurde. Man muss gesamtuniversitäre Reformen demokratisch aushandeln. Die Universität ist eine Expertenorganisation, kein Wirtschaftsunternehmen, und die inhaltliche Kompetenz liegt auch bezüglich Bibliothek nicht auf der Leitungsebene, sondern unten, bei den Fachexpertinnen und Fachexperten.

Schwarzenegger: Das trifft auf Wissenschaft und Lehre zu, nicht aber auf die Organisation der Infrastruktur. Das Universitätsmanagement muss für ein Bibliothekssystem sorgen, das den Forschenden den Zugriff auf die benötigten Medien gewährleistet. Für die digitalen Technologien im modernen Bibliothekswesen müssen wir – natürlich gemeinsam – gesamtuniversitäre Lösungen finden. Das Bibliotheksprojekt läuft sehr integrativ, mit mehreren Etappen, in denen alle Beteiligten mitreden können. Nur bei der Raumentwicklung sind die Spielräume bei der Entscheidungsfindung kleiner, weil hier die kantonale Politik sehr viel vorgibt.

Die Bestände der naturwissenschaftlichen Institute, der Mathematik und der Medizin sind in der Hauptbibliothek zentralisiert worden. Welche Bilanz ziehen Sie, Herr Rosenthal?

Rosenthal: Früher war bei uns alles sehr kleinteilig und unübersichtlich, die fachübergreifende Recherche war sehr hindernisreich. 2005 haben wir alle Bücher zur Mathematik gemäss den Vorgaben der Library of Congress einheitlich klassifiziert. Seit rund acht Jahren ist die Mathematik-Bibliothek vollständig in der HBZ integriert. Für die Studenten gibt es nun wesentlich längere Öffnungszeiten und einheitliche Anstellungsbedingungen. Das Ergebnis ist durchweg erfreulich, und es profitieren alle.

Riedweg: Auch die geisteswissenschaftlichen Bibliotheken waren in den vergangenen Jahrzehnten nicht untätig, wobei die HBZ teilweise tatkräftig geholfen hat. Den elektronischen Katalog haben wir dank der HBZ seit 2004/05, auch bei der Personalrekrutierung hat uns die HBZ immer unterstützt.

Schwarzenegger: Aber zu vieles läuft noch uneinheitlich, auch die Öffnungszeiten oder die Ausbildung der Bibliothekare sind unterschiedlich.

Riedweg: Die entscheidende Frage für mich ist: Wer wird zukünftig bestimmen, welche Bücher angeschafft werden und welche nicht?

Schwarzenegger: Wenn sich jedes Institut wie bisher nur um sich selbst kümmert, schaffen wir zu viele Doppelspurigkeiten. Es braucht ein sorgfältig koordiniertes Bestellwesen. In dem von uns vorgeschlagenen Modell sind für diese Koordination die Liaison Librarians zuständig, die sich wiederum eng mit den Professorinnen und Professoren absprechen. Sie stehen an der Schnittstelle zwischen der Bibliothek und den einzelnen Fachdisziplinen. Die Funktion der Liaison Lib-rarians gibt es weltweit in vielen Bibliotheken. Sie kennen die Disziplin, für die sie zuständig sind, ganz genau.

Riedweg: Die Funktion der Liaison Librarians wird meines Erachtens überschätzt. Die Anschaffungspolitik gehört zumindest in den «Humanities» zu den Kernaufgaben der Professorinnen und Professoren – niemand sonst ist so nah an den aktuellen Entwicklungen dran. Und es ist absolut zentral, dass wir weiterhin die Hoheit über Bestellungen und Budget haben.

Schwarzenegger: Wir können über die Zusicherung fixer Budgets für jedes Institut sprechen, auch wenn ich persönlich glaube, dass flexiblere Lösungen in diesem Bereich besser wären. Das Ziel besteht auf jeden Fall darin, die Forschenden aller Disziplinen speditiv und verlässlich mit den nötigen Medien und Informationen zu versorgen.

Wie geht es jetzt weiter mit dem Projekt?

Schwarzenegger: Wir befinden uns in der Vorprojektphase, und bis 26. November läuft die Vernehmlassung zum aktuellen Planungsstand. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse, die sorgfältig ausgewertet werden und in die Planung ein-fliessen werden. Alle Betroffenen werden in die Planung eingebunden, darauf lege ich grossen Wert. Wenn alles gut läuft, beginnt im kommenden Jahr das Hauptprojekt. Der Start war nicht einfach, aber ich bin zuversichtlich, dass es im weiteren Projektverlauf zu einer guten Zusammenarbeit kommt.

Haben Sie Wünsche bezüglich der Bibliotheksreform?

Riedweg: Unsere Fakultät, die mit 24 von 39 Einzelbiblio-theken am stärksten von der Reform tangiert wird, ist mit nur einer Person im Steuerungsausschuss bis jetzt markant untervertreten. Um die Sicht einer so grossen und heterogenen Fakultät angemessen einbringen zu können, sollte mindestens je eine Vertretung der Geistes- und der Sozialwissenschaften beteiligt werden. Man müsste die Partizipation auch später in der Governance, für die bisher nur den Fakultäten Mitbestimmung zugesagt wurde, viel breiter abstützen.

Buser: Die Stände sollten auch unbedingt im Steuerungsprozess vertreten sein. Und die Vernehmlassung sollte nicht Beginn und Ende der Partizipation sein. Auch ins Hauptprojekt müssen alle Gruppen einbezogen werden.

Schwarzenegger: Diese Wünsche nach einer stärkeren Vertretung der Geisteswissenschaften und der Stände im Steuerungsausschuss scheinen mir gut begründet und sind registriert. 

Herr Schwarzenegger, was haben Sie bisher gelernt?

Schwarzenegger: Der Start der Bibliotheksreform war etwas holprig. Eigentlich hatten wir das Gefühl, wir seien sehr partizipativ unterwegs und hätten alle Player an Bord. Aber in diesem Punkt müssen wir nachjustieren. Es ist erstaunlich, wie viele Fehlinformationen auch in den Medien verbreitet werden und mit welcher Emotionalität diskutiert wird. Ich habe gelernt, wie wichtig Bibliotheken für unsere Identität als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind.

Die Gesprächspartner:

Lukas Buser, Politologie-Student und Co-Präsident VSUZH
Christoph Riedweg, Professor für klassische Philologie/Gräzistik
Joachim Rosenthal, Professor für Mathematik, Mitglied im
Steuerungsauschuss des Projekts «UZH Bibliothek der Zukunft»
Christian Schwarzenegger, Prorektor der UZH, Verantwortlicher des Vorprojekts «UZH Bibliothek der Zukunft»

Die Vernehmlassungsunterlagen zum Vorprojekt «UZH Bibliothek der Zukunft» sind online abrufbar: http://www.uzh.ch/bibliothek

Weiterführende Informationen

Christoph Riedweg

«Die Fachbibliothek ist unser Lebens- und Forschungs­elixier.»

Christoph Riedweg, Philologe und Gräzist

Christian Schwarzenegger

«Alle Betroffenen werden in die Planung eingebunden, darauf lege ich Wert.»

Christian Schwarzenegger, Prorektor

Lukas Buser

«Die Stände sollten unbedingt im Steuerungsprozess vertreten sein.»

Lukas Buser, Co-Präsident VSUZH

Joachim Rosenthal

«Wir können mit unseren Mitteln
ein attraktiveres Angebot realisieren.»

Joachim Rosenthal, Mathematiker