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UZH Journal

Schöne neue Alltagsroutine

Headset

Die Kopfhörer sitzen, das Mikrofon ist gerichtet, das Seminar läuft. Kleine Rechtecke füllen den Bildschirm, die meisten von ihnen schwarz. Nur die Vortragende, eine Statistikexpertin einer deutschen Universität, und ein paar Unentwegte zeigen sich in ihren Büros oder Wohnzimmern, meist vor mehr oder weniger imposante Büchergestelle drapiert. Sonst verliert sich der Blick in den dunklen Rechtecken und man fragt sich, wie viele der Teilnehmenden wohl tatsächlich vor ihren Computern sitzen. Am Ende der zweistündigen Session ziehe ich den Kopfhörer erschöpft über die Ohren und atme tief durch.

Acht Monate Corona-Pandemie haben uns gelehrt: Digitale Kommunikation ist dank Headset und Internet in grossem Stil möglich, die Werkzeuge sind technisch effektiv. Die Euphorie der Anfangszeit, als wir staunend die Videokonferenzsysteme in Betrieb genommen und mit nervöser Neugier verfolgt haben, ob auch alles funktioniert, ist allerdings vorbei. Die Faszination über digitale Breakout Sessions und geordnete Diskussionen mit Händchenhochheben hat einer gedämpften Alltagsroutine Platz gemacht. Mittlerweile verbindet sich die halbe Welt digital. In den einschlägigen Online-Geschäften sind Headsets Mangelware und erst nach mehrwöchigen Lieferzeiten erhältlich.

Man kann den Schub ins Digitale mögen oder nicht: Alternativen zu Homeoffice und digitalem Austausch sind gegenwärtig schwer auszumachen. Doch so richtig zufrieden machen die Online-Formate offenbar nicht. Eine kleine Umfrage bei Bekannten hat ergeben, dass sich bei vielen die Zahl vorabendlicher Videoapéros drastisch reduziert hat. Irgendwie will digital keine Stimmung aufkommen. Der Zauber des Anfangs ist verflogen.

 

Stefan Stöcklin

Weiterführende Informationen

Im Bild

Das Headset gehört für die meisten von uns mittlerweilen zum Alltagsobjekt.

Bild: Frank Brüderli